
Keynote zum Konferenz-Thema “Machbar” | 10. Juni 2024 | Marta Herford | OWL Kulturbüro
“Unsere Gegenwart braucht Mut und Lust auf Machen”, so das OWL Kulturbüro in ihrer Ankündigung zur 17. OWL Kulturkonferenz im Marta Herford. Nachdem letztes Jahr das Thema “Denkbar” den Rahmen setzte, wurde 2024 “Machbar” als Konferenzthema gewählt.
Als ich angefragt wurde, die Keynote zu halten, war mein erster Gedanke zum Konferenzthema “wenn etwas machbar ist, heißt es noch lange nicht, dass man es tatsächlich macht”. Ich ging durch meine bisherigen Erfahrungen und stellte mir die Frage: Was passiert zwischen Machbar und Machen?
Zwischen Machbar und Machen
Vor knapp 10 Jahren bekam ich ein Notizbuch geschenkt. Drauf stand “Goldideen” und ich nahm den Titel sehr ernst: Jahrelang sammelte ich darin unzählige Ideen. Ich dachte immer, dass ich die Ideen sammelte für den Zeitpunkt, an dem ich genug Zeit, Energie, Fähigkeiten, Kontakte und Wissen hätte. Während ich wartete, staunte ich über Menschen in meinem Umfeld, die ihre Ideen “einfach” umsetzten. Ich studierte diese Menschen, erkundete kreative Orte, an denen die Umsetzung leichter zu fallen schien, arbeitete in Programmen, die bei der Ideenumsetzung begleiteten. Ich hielt mich in vielen Umgebungen auf, in denen Neues entstand: Unternehmen, Technologien, Produkte, Kunst, Veranstaltungen, Gemeinschaften, Räume.
Heute, einige Jahre später nach meiner Goldideen-Sammelphase, kann ich sagen: Ich bin Macherin. Durch selbst-initiierte Projekte habe ich in den letzten Jahren die Rolle der Macherin eingenommen. Doch ich schaue auf das Thema auch aus der Perspektive der Möglichmacherin: Denn durch Studium und Forschung im Bereich Kreativwirtschaft und meiner langjährigen Beschäftigung im Bereich der Startup-Förderung, habe ich viele Menschen auf dem Weg der Ideenumsetzung begleitet.
Ich stellte mir persönlich und beruflich die Frage: Was brauchen Menschen, um ihre Ideen umzusetzen? Während ich jedoch diese Frage stellte, kam eine weitere, tiefer liegende Frage in meinen Fokus: Was hält Menschen davon ab, ins Machen zu kommen?
Es gibt viele wissenschaftliche Abhandlungen zu diesen Fragen. Ich beschränke mich in diesem Blog-Artikel jedoch auf meine persönliche Erfahrungen, benenne die Phänomene und erläutere meine Lösungsansätze. Aus meinen unterschiedlichen Projekten habe ich mich entschieden, den XO TALK vorzustellen, der schon in der Vorbereitung viele Höhen und Tiefen hatte.
Aus vielen Gesprächen mit Gleichgesinnten weiß ich, dass ich stellvertretend für viele Menschen stehe, die etwas Neues starten (wollen). Was hat mich also abgehalten und wie habe ich es geschafft, eine Idee umzusetzen?
Willkommen zurück in der Heimatstadt?
2015 kehrte ich zurück in meine Heimatstadt Paderborn. Sieben Jahren lang hatte ich in unterschiedlichen Metropolregionen und Ländern studiert, geforscht, gelebt, gearbeitet. Mit meinem Forschungsthema zum kreativen Potential von Städten, Regionen, Ländern sowie der Förderung von Kreativwirtschaft, spannte ich den Bogen nach Paderborn. Das Fazit der Forschungsarbeit waren Handlungsempfehlungen, von denen ich mir einer selbst annahm: Ich fand heraus, dass in Paderborn viel kreatives Potential schlummerte und ebenso viele Menschen in Paderborn motiviert waren, dieses Potential zu fördern, sich die Menschen jedoch weder kannten noch gegenseitig verstanden.

Aus diesem wahrgenommenen Bedarf entstand die Idee einer Plattformveranstaltung in neutralem, kreativen Setup. Der XO TALK fand seinen Anfang: X – es kreuzen sich die Perspektiven und O – in einer gemeinsamen Runde.
Weitere Informationen findest du im Portfolio unter XO TALK: Entstehung, Format und Impact, XO TALK #1: AStA Stadtcampus, XO TALK #2: Schabsky & Olk, XO TALK #3: Rathaus Paderborn.
Zu den insgesamt fünf diskussionsreichen Events, 650 Teilnehmer*innen, 4000 live Views (XO TALK 3) und zu den vielen Folgeprojekten wäre es beinahe nicht gekommen.
Warum?
Von unsichtbaren Hindernissen
Ich bin sehr dankbar für die vielen Erfahrungen, die ich in den Jahren vor meiner Rückkehr nach Paderborn machen durfte. Seien es Musik-Festivals in Mannheim, europäische Kreativwirtschaftskonferenzen und Großevents wie die UNESCO Kulturhauptstadt Europas 2010, DIY-Kulturaktivistische Projekte im Ruhrgebiet, Creative Spaces oder Crowdfunding-Events in Amsterdam. So inspirierend ich diese Erlebnisse fand, so lähmend wirkten sie sich vor der Initiierung des XO TALK aus. Ich stand innerlichen vor Steilhängen und emotionalen Vollsperrungen.

1) Gedankenkarussell (auch: Analysis Paralysis)
Als ich zurück nach Paderborn kam, wollte ich an dem professionellen und qualitativen Level des Erlebten anknüpfen. Ich durchdachte Ideen bis ins letzte Detail und fand theoretisch Antworten auf alle der folgenden Fragen: Wie? Mit wem? Wo? Was genau? Wie sieht es aus? Wer macht was? Wie könnte es danach weiter gehen? Wer finanziert das Vorhaben?
Bis dahin war ich jedoch noch keinen Meter gegangen. Innerlich hing ich fest im Gedankenkarussell, auch Analysis Paralysis genannt. Ich war erschöpft von der Analyse und gelähmt einen ersten “echten” Schritt zu tun.
Um aus diesem Loop heraus zu kommen, begann ich die Idee mit Menschen zu teilen. Das hatte zum einen den Effekt, dass Menschen mitdachten und mich auf Kooperationen, Ressourcen oder Umsetzungsideen brachten, die ich bis dahin nicht auf dem Schirm hatte. Und zum anderen entstand ein gewisser Zugzwang in mir – das Quäntchen sozialer Druck – nicht nur leere Worte zu reden. Aus den Gesprächen ergab sich die nächste Bewältigungsstrategie der Analysis Paralysis: Mitstreiter*innen finden. Gemeinsam mit Julia Ures konzipierte ich das Dialogevent und fand Kooperationspartner*innen auf Seiten der Stadt (Kulturamt, Wirtschaftsförderung). Zudem entwickelte ich gemeinsam mit Patrik Hübner den Namen, die visuelle Identität und das thematische Konzept. Die dritte Lösungsstrategie, um aus dem Gedankenkarussell herauszukommen, war das Festlegen eines Termins. Nun musste gehandelt werden!
2) Hochstaplertum (auch: Impostor-Phänomen)
Das Heimkehren und Mitgestalten-Wollen hatte gleichzeitig einen weiteren Effekt. Sieben Jahre hatte ich nicht in Paderborn gelebt, indes gab es viele Menschen, die Paderborn in der Zeit ehrenamtlich, hauptamtlich und selbstständig (mit)gestaltet hatten. Menschen, die die Stadt vermeintlich viel besser kannten, als ich. Es schlossen sich Zweifel an: “Wer bin ich, dass ich es besser wüsste? Meine Erkenntnisse sind nichts Neues”.
Das zweite innere Hindernis, das ich daher beim Namen nennen möchte, ist das Impostor-Phänomen (Side Note: Ich nenne es bewusst nicht mehr “Impostor-Syndrom”, da es sich keineswegs um eine klinischen Diagnose handelt, sondern vielmehr um ein erlerntes Verhalten als Ergebnis struktureller Ungleichheit, so auch Girls Who Code-Gründerin Reshma Saujani). Ich hatte in dem Moment die große Angst anmaßend zu sein gegenüber den zahlreichen aktiven Menschen und bewertete meine Expertise somit als untergeordnet. Meine Überzeugung war es, dass die städtischen Verantwortlichen den von mir ausgemachten Bedarf selbst erkennen würden und eine bessere Lösung entwickeln könnten.
Meine drei Lösungswege, durch die der XO TALK wider meines geglaubten Hochstablertums möglich wurde, waren wie so oft: Gespräche. Ich sprach mit meiner Familie, mit Freund*innen und Mentor*innen über meine Rolle. Dabei halfen mir insbesondere die Reflexionsfragen: Kann der vermeintliche Nachteil ein Vorteil sein? Auf welche Erfolge, Erfahrungen, Qualifikationen kann ich bauen? Dass es tatsächlich ein Vorteil war, aus räumlicher und zeitlicher Distanz, mit studiertem und erprobtem Blick auf die Stadt zu schauen, fand ich durch Gespräche mit der Zielgruppe heraus. Sie bestätigten mir die Notwendigkeit meiner Idee.
Von fehlenden Skills & Ressourcen
Neben den inneren Hindernissen stand ich vor einer Herausforderungen, die “man im Studium nicht lernt”. Zwischen Machbar und Machen lauerten Hürden, die meine Fähigkeiten in dem Moment überstiegen.
3) Sprache, Worte, Argumente
Wie erkläre ich eine Idee, die es bis dahin noch nicht gab, unterschiedlichen Möglichmacher*innen? Mit welchen Argumenten finde ich Mitstreiter*innen und Supporter? Wie finde ich den Zugang zu Menschen in Verwaltungsgebäuden oder Bürokomplexen?
Ich erkundete so viel wie möglich die Lebensrealitäten und Aufgaben meines potentiellen Gegenübers. Ich fand heraus, wie Arbeitskultur und Prozesse der Förderer ablaufen. Dabei war es ein wichtiger Schritt, bei bereits “warmen Kontakten” um Hilfe zu bitten: Eine Vorstellung oder Empfehlung kann aus dem richtigen Mund direkt Türen öffnen. So war es beim XO TALK und ich danke allen Mittelsmännern und -frauen.
Für die Argumentation legte ich mir gemeinsam mit meinen Mitstreiter*innen Worte und Beispiele zurecht. Ich war letztlich erstaunt, wie viel Wissen, Geschichten und Statistiken ich zu dem Thema mehr wusste, als mein Gegenüber. Wichtig bei der Argumentation war vor allem, mein Wissen durch Beispiele aus anderen Städten zu verpacken.
Um beim Einwerben von Unterstützung meine Zweifel zu bändigen, rief ich mir immer wieder einen Perspektivwechsel ins Gedächtnis: ‘Es stimmt, ich möchte meine Idee umsetzen und dazu brauche von ihnen Support. Doch: ich biete den Verantwortlichen im Gegenzug etwas von Wert für die gesamte Stadt an’. Der Gedanke half mir dabei, meine Haltung zu bewahren und nicht lediglich als Bittstellerin aufzutreten.
4) Ressourcen und Räume
Wie und woher kommen die Ressourcen und Räume? Wen spreche ich an? Wo bekomme ich Infos? Welche Gegenleistung erwarten die Förderer? Wie passend sind die Räumlichkeiten und Ressourcen? …
Wohl alle Macher*innen stehen irgendwann vor der Herausforderung, geeignete Räume für Projekte zu finden, finanzielle oder andere Ressourcen für die Idee auftreiben zu müssen. So auch im Fall XO TALK.
Die Lösung war in diesem Fall die aktive Vernetzung, das aktive Zugehen auf potentielle Unterstützer*innen und Crowdsourcing über persönliche Kanäle (Social Media, Freundeskreise, etc.). Auch wenn zu Beginn die Angst vor einem “Nein” bestand, überkam mich sehr bald die Freude und der Spaß daran, dass durch den Beitrag vieler Menschen, das Projekt noch schlagkräftiger wurde. So liehen wir uns 120 Stühle von einer Kirchengemeinde, die mit einem Pferde-Anhänger zur Location gebracht wurde. Wir fanden spannende Leerstände, wie z.B. das Haus Schabsky & Olk, und bekamen Unterstützung durch Fotografen, Thekenpersonal und Technikern.
Der XO TALK wurde zu einer Erfolgsgeschichte in Paderborn und war Impulsgeber für Politik, Verwaltung, Kulturszene, Kreativwirtschaft.
Was brauchen Macher*innen?
Wir brauchen Mut, unfertige Ideen und Projekte mit anderen Menschen zu teilen. Mut, Raum einzunehmen, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und unbekannten Menschen Fragen zu stellen. Wir brauchen Mut, Dinge zu tun, die wir vorher noch nie getan haben.
Um diesen Mut wahrscheinlicher zu machen, brauchen wir Gleichgesinnte, Netzwerke und Communities, die uns verstehen und bekräftigen.
Was brauchen Möglichmacher*innen?
Die bloße Aufforderung von Politiker*innen und Verwaltungsfachkräften, dass kreative Menschen das Scheitern immer wieder wagen sollten, finde ich oft oberflächlich und anmaßend. Denn ob ein potentielles Scheitern ein zweites, drittes, viertes Mal riskiert wird, hat vor allem damit zu tun, ob ein weiterer Versuch von den Macher*innen finanziell, organisatorisch und auch emotional gestemmt werden kann.
Ich möchte daher die Möglichmacher*innen einladen, sich ihrer verantwortungsvollen Rolle “zwischen Machbar und Machen” bewusst zu werden. Denn was hinter der Rolle als Möglichmacher*in steckt, ist der Mut, sich als Teil der Idee zu verstehen und das Risiko zu Scheitern mitzutragen: Ein Projekt vor Vorgesetzten oder Parteikolleg*innen verteidigen. Verständnisvolle, lösungsorientierte Gespräche mit den Macher*innen. Öffentliches Wertschätzen der Macher*innen und die Sichtbarmachung ihrer Projekte.